Die Alpen sind ein Kultur- und Lebensraum mit Spannungen: Gefahr und Nutzen, Furcht und Verehrung liegen nahe beieinander. Kapellen an schwierigen Passagen verdeutlichen dies ebenso wie die Rituale beim Tunnelbau, die Anrufung einer lawinenabwehrenden Göttin auf einem Hausspruch oder die transzendenten Emotionen, die Alpinisten und Alpinistinnen beim Erreichen eines schwer zugänglichen Gipfels erleben. Die Alpen werden durch touristische Angebote erfahrbar gemacht und bleiben dennoch unkontrollierbar. In diesem Spannungsverhältnis zwischen Erfahrbarem und Unfassbarem, Kontrollierbarem und Unkontrollierbarem ist das Forschungsprojekt «Grenzgänge. Religion und die Alpen» angesiedelt.
Sehr unterschiedliche Formen des Religiösen können in den Alpen beobachtet werden. Um dieser Komplexität gerecht zu werden, nähern wir uns dem Thema anhand von «Tiefenbohrungen», die ausgewählte Orte, Gegenstände und Praktiken eingehend erforschen und erhellen. Mit diesem Vorgehen möchten wir der Vielfalt an Konstellationen und Wechselwirkungen von Religion und den Alpen gerecht werden und verzichten bewusst darauf, durch pauschale Aussagen alles auf eine Linie zu reduzieren. Durch den Vergleich zwischen den «Tiefenbohrungen» sollen am Schluss Tendenzen und gemeinsame Linien herausgearbeitet werden.
Das Forschungsprojekt ist im weitesten Sinne inter- und transdisziplinär konzipiert: Fachleute aus Religionswissenschaft, Kultur- und Literaturwissenschaft, Theologie, Philosophie, Ethnologie und Geschichte untersuchen ausgewählte Facetten des Verhältnisses von Religion und den Alpen. Ihre Ergebnisse sind in einem Sammelband dokumentiert. Das Thema wird zudem im intensiven Austausch mit Musik, Kunst und Fotografie erforscht. Aus der Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Musik sind acht Kompositionen entstanden, die am Musikfestival Alpentöne im August 2023 uraufgeführt wurden. In diesem umfassenden Forschungsprojekt sind ausserdem zwei Ausstellungen und eine Reihe von Kurzfilmen entstanden. Ein starkes Bindeglied zwischen den verschiedenen Bereichen des Projekts bildet die alpine Fotografie mit ihrem eigenen Zugang zu Religion und den Alpen.